Pressemitteilung 28.06.2009
»"Durchgeknallter Staatsanwalt" ist okay« (taz); »"Durchgeknallt"
darf man sagen« (Tagesspiegel); »"Durchgeknallten Staatsanwalt"
ist verfassungsmäßig« (Berliner Umschau). Diese drei Schlagzeilen
vom 26.06.2009 sind zumindest irreführend, wenn nicht ganz falsch.
Denn in Wahrheit lautet die Erklärung des
Bundesverfassungsgerichts gem. Überschrift der Pressemitteilung
(Nr. 71/2009 vom 26. Juni 2009; Beschluss vom 12. Mai 2009 – 1 BvR
2272/04): »Äußerung "Durchgeknallter Staatsanwalt" stellt nicht
zwingend eine Beleidigung dar«. Im Klartext: Jegliche
Rechtssicherheit ist dank dem BVerfG unanfechtbar völlig zerstört.
Die Gerichte können ganz nach Lust und Laune festlegen, ob
"durchgeknallt" eine "Beleidigung" ist oder nicht. Man kann
unmöglich wissen, wie ein Gericht zukünftig zu "durchgeknallt"
urteilen wird. Objektiv gilt dieses Dilemma übrigens für absolut
jede - auch irgendwann mal gerichtlich verurteilte oder
gerichtlich erlaubte - Äußerung, denn der entsprechende §185
("Beleidigung") enthält keinerlei gesetzliche Bestimmtheit.
Dementsprechend gestand der Germanist Prof. Dr. Hans Jürgen
Heringer: »Was eine Beleidigung ist, sagt der Paragraph nicht.
Könnte die Linguistik da weiterhelfen? Vielleicht untersuchen, wie
das Verb "beleidigen" verwendet wird? Das wollen Juristen im
Allgemeinen lieber nicht. Diese Art von Empirie geht gegen das
System« (Vortrag "Eine Beleidigung!", Forensik-Tagung Mannheim,
15.03.2001).
S. ferner BVerfG, 2 BvR 2202/08 vom 18.5.2009, Absatz-Nr. 9:
»Als spezielles Willkürverbot des Grundgesetzes für die
Strafbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG den Gesetzgeber, die
Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass
Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen
sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl.BVerfGE 47,
109 <120>; 55, 144 <152> ; BVerfG, Beschluss der 2.
Kammer des Zweiten Senats vom 20. Mai 1998 - 2 BvR 1385/95 -, NJW
1998, S. 2589 <2590>). Diese Verpflichtung dient zum einen
dem Normadressaten, der vorhersehen können soll, welches Verhalten
verboten und mit Strafe bedroht ist. Zum anderen soll
sichergestellt werden, dass gerade der Gesetzgeber über die
Strafbarkeit entscheidet (vgl.BVerfGE 71, 108 <114> ). Dabei
muss ein Normadressat anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen
können, ob ein Verhalten strafbar ist. In Grenzfällen ist auf
diese Weise für ihn wenigstens das Risiko einer Bestrafung
erkennbar. Dieses Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit schließt
nach der Rechtsprechung eine analoge oder gewohnheitsrechtliche
Strafbegründung aus. Dabei ist "Analogie" nicht im engeren
technischen Sinn zu verstehen; vielmehr ist jede Rechtsanwendung
ausgeschlossen, die über den Inhalt einer gesetzlichen
Sanktionsnorm hinausgeht. Art. 103 Abs. 2 GG zieht insoweit der
Auslegung von Strafvorschriften eine verfassungsrechtliche Grenze.
Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur
der Gesetzestext sein kann, erweist dieser sich als maßgebendes
Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die
äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation
(vgl.BVerfGE 71, 108 <115>).«
Damit spricht sich das BVerfG - und überhaupt die Justiz - selbst
das Urteil. Abschließend sei erinnert an die Feststellung von Bert
Steffens (Öffentliche Mitteilung an Peter Briody, 15.04.2007): »Es
gibt keine "Beleidigungsgesetze in Deutschland". Es gibt auch
keine "Rechtsprechung" bei Anwendung des § 185 StGB – nur
Unrechtsprechung. Auch ist die Anwendung des § 185 StGB nicht
"infantil", sondern ein Verbrechen.[...] Die Anwendung der § 185
StGB verstößt (u.a.) klar gegen Art. 103 Abs. 2 GG; § 1 StGB; Art.
7 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) und Art. 15
Abs. 1 IPbürgR (Internationaler Pakt über bürgerliche und
politische Rechte). [...] Der § 185 ist – nicht weil
vorkonstitutionell - n i c h t i g , weil dessen Text den Regeln
des späteren, sprich jüngeren GG und allen Landesverfassungen, ja
selbst dem ersten Paragraphen des StGB widerspricht. Hierzu bedarf
es nicht eigens der Feststellung eines Gerichts. Lesen, das kann
der Souverän, das Volk, auch ohne Richterschaft – was ja auch
sonst von ihm erwartet wird, wenn es um die Beachtung der Gesetze
geht.«