26.03.2022 - Hexenjagd und Hexenwahn - Inquisition
      Predigt 27.03.2022 - 4. Fastensonntag
      
      "Hexenjagd" - immer wieder gibt es Meldungen mit diesem Begriff.
      Gemeint ist dabei oft irgendwelche Kritik an irgendwelchen
      Personen wegen irgendwelcher Meinungen oder irgendwelcher
      Handlungen. "Hexenjagd" bezeichnet dann ein offensichtliches
      Unrecht. Auch der Begriff "Hexenwahn" erscheint in einigen
      Meldungen, aber weniger im übertragenen Sinne als vielmehr bezogen
      auf die historischen Hexenprozesse. Gerne werden Begriffe wie
      Hexenjagd und Hexenwahn verwendet, um gegen das Christentum, um
      gegen die katholische Kirche zu hetzen. Und in antikatholischen
      Hassreden fällt gerne noch ein weiterer Begriff: Inquisition.
      Tatsächlich machen sich viele, die mit Schlagwörtern wie
      Hexenjagd, Hexenwahn und Inquisition gegen die Kirche hetzen,
      selbst schuldig, u. z. schuldig genau dessen, was sie der Kirche
      vorwerfen, nämlich Verblendung, Wahn, Bosheit, Lüge. Das wiegt
      heute sogar noch erheblich schwerer als zur Zeit des Hexenwahns,
      denn heute sind die Möglichkeiten der Bildung und des Zugangs zu
      Dokumenten weitaus besser. Um Propaganda, um verlogene Hetze als
      solche zu durchschauen, braucht man nicht nur Zeit, sondern
      grundlegende Bildung und Zugang zu Informationen. Bevor man
      urteilt, muss man sich selbst informieren, und ggf. ist man bei
      manchen Themen auch zur Urteilsfindung verpflichtet. Diese
      mühevolle Arbeit der Recherche mit Überprüfung der Quellen nach
      ihrer Glaubwürdigkeit muss man dann leisten.
      Der Kirchenhistoriker Alois Knöpfler nennt den Hexenwahn eine
      "religiöse Krankheit" (551). Der Hexenwahn gab sich gerne einen
      wissenschaftlichen Anstrich. Mit speziellen Tests wurde angeblich
      nachgewiesen, ob jemand tatsächlich mit der Seuche der Zauberei
      infiziert war und ob er somit ggf. andere damit anstecken könnte.
      Um die Ausbreitung dieser Gefahr einzudämmen, wurden extreme
      Schutzmaßnahmen angewendet. Die Hexen und Zauberer wurden aus der
      Gemeinschaft isoliert - bis hin zur Todesstrafe. Also: Kein Test,
      kein Hexenwahn. Und worin bestand dieser Test? Knöpfler nennt
      ausdrücklich Folter und Suggestivfragen. Bekanntlich wird bei
      Folter so ziemlich jeder so ziemlich alles gestehen und
      unterschreiben, um der Folter zu entkommen; das macht den
      Beweiswert von Geständnissen unter Folter fragwürdig.
      "Suggestivfragen" sind solche Fragen, in denen der Fragesteller
      bereits mitteilt, welche Antwort er für die richtige hält. Der
      Gefragte wird durch die Suggestivfrage in eine Richtung gelenkt,
      deshalb auch die Bezeichnung Lenkfrage. So angebracht Lenkfragen
      als rednerisches Mittel sein können, so unangebracht erscheinen
      sie bei echtem Bemühen um Wahrheitsfindung. Kurz: Diese Massen von
      Tests waren bereits an sich schon Massen von Unrecht. Und dieses
      Unrecht wurde dann zur Grundlage gemacht, um Menschen ihrer
      Grundrechte zu berauben. Aber war es nicht unabweisbare Pflicht
      der Obrigkeit, zum Schutz der Bevölkerung, insbesondere zum Schutz
      der Vulnerablen, der besonders Gefährdeten, gegen jeden
      Krankheitserreger vorzugehen? Musste die Obrigkeit nicht mit aller
      Härte und ohne Rücksicht auf rote Linien durchgreifen, bis hin zur
      Tötung dieser Gefährder, bevor sich irgendwo ein Hotspot der
      Hexerei bilden konnte? Und wenn sich trotzdem ein solcher Hotspot
      gebildet hatte, waren dann nicht erst recht Schutzverordnungen
      eines großzügigen Maßnahmenkatalogs notwendig? Anscheinend hatten
      sehr viele im Volk Angst, panische Angst, eine Heidenangst vor
      Hexen. Der Panikmodus war tief im Volk verwurzelt, und die
      Obrigkeit leistete ihren Beitrag, um diese Heidenangst im Volk zu
      fördern. Wer ernsthaft zu den historischen Tatsachen bzgl.
      Hexenprozessen recherchiert, stößt auf den Begriff "Canon
      Episcopi". Sogar in der Wikipedia gibt es noch einen Artikel dazu,
      Stand 2018, beginnend mit: "Der Canon Episcopi war eine
      kirchenrechtliche Vorschrift im Frühmittelalter, die sich gegen
      Zauberei und Aberglaube wandte und in der die nächtlichen
      ekstatischen Flüge von Frauen im Gefolge der heidnischen Göttin
      Diana ausdrücklich als Einbildung und Wahnvorstellung verurteilt
      wurden." Und der Historiker Herbert Eiden schreibt zu der
      Ausstellung "Hexenwahn. Ängste der Neuzeit": "Inquisition,
      Ketzerverfolgung und Hexenprozesse - mit diesen Schlagworten wird
      gewissermaßen eine zeitliche Abfolge in der Identifizierung und
      Aburteilung von religiösen oder gesellschaftlichen Dissidenten
      über einen Zeitraum von einigen hundert Jahren umrissen. ... Zwar
      wurde die Existenz eines teuflischen Zauberwesens nicht
      prinzipiell in Frage gestellt, der Glaube daran aber doch
      weitgehend als Aberglaube verurteilt, der durch Kirchenstrafen wie
      Bußen oder - in schweren Fällen - durch Ausschluss aus der
      Gemeinschaft geahndet werden sollte. Am deutlichsten bringt diese
      Position der Canon Episcopi, eine Zusammenstellung des Synodal-
      und Kapitularienrechtes, zum Ausdruck, den Regino von Prüm († 915)
      im Jahre 906 für den Trierer Erzbischof Ratbod († 915) verfasst
      hatte. Darin wird unmissverständlich der Glaube an Zauberei und
      Nachtfahrten der Göttin Diana mit ihrem Gefolge als heidnische
      Irrlehre und Einbildung verurteilt."
      Aber die Mühe, sich einmal ordentlich mit den Tatsachen zu
      beschäftigen, machen sich anscheinend nicht alle. Hier fehlt genau
      das, was wirklich notwendig ist: Inquisition, also Untersuchung
      der Sach- und Rechtslage. Die Wahrheit richtet sich niemals nach
      der Mehrheit. Aber  richtet sich die Mehrheit immer nach der
      Wahrheit? Was wäre, wenn die Masse gegen einen Unschuldigen
      einfach zum Richter schreien würde: "Kreuzige ihn"? Was wäre, wenn
      die Masse die Frage des Richters nach der Schuld des Unschuldigen
      einfach damit beantwortet, noch lauter zu schreien: "Kreuzige
      ihn"? Haben wir dann immer das Recht, zu solchen Vorgängen zu
      schweigen, so dass der Unschuldige wirklich verurteilt wird? Haben
      wir immer das Recht oder gar die Pflicht, in solche Rufe nach der
      Bestrafung Unschuldiger mit einzustimmen? Haben wir immer das
      Recht oder gar die Pflicht, selbst die Bestrafung Unschuldiger zu
      vollstrecken, wenn die Mehrheit bzw. die Obrigkeit dies will oder
      wenigstens duldet? Der Hexenwahn mit seinen Hexenprozessen konnte
      sich sehr lange halten und dementsprechend viele unschuldige Opfer
      fordern. Die Masse hatte nichts dagegen oder forderte diese Opfer
      sogar: Die Masse hatte Angst um ihre Sicherheit, sie hatte Angst
      um ihre Gesundheit, und diejenigen, die als Hexen bezichtigt
      wurden, galten als Bedrohung. Die Schuld an diesem Wahn lag sowohl
      bei der Obrigkeit durch Anordnen angeblicher Schutzmaßnahmen als
      auch bei der Masse durch Befolgen oder sogar Fordern solcher
      Schutzmaßnahmen. Hätte man doch den Hexenwahn mit seinen Tests und
      seinen Maßnahmen so verurteilt, wie die Kirche ihn verurteilt, als
      heidnische Irrlehre und Einbildung! Aber stattdessen hörte man auf
      angebliche Experten, die mit angeblichen Tests angebliche Gefahren
      angeblich nachgewiesen hatten und dann angebliche Schutzmaßnahmen
      vollstreckten - mit Duldung oder gar mit Forderung seitens der
      Masse. Wenn man echte Inquisition, echte Untersuchung der
      historischen Tatsachen des Hexenwahns betreibt, fragt man sich,
      wie heute noch von Hexenjagd die Rede sein kann. Amen.